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AutorenbildMichael Anker

Zurück zu den analogen Wurzeln


Das Washi-Projekt


Manches Mal sehne ich mich nach alten Zeiten zurück. Nach richtiger handwerklicher fotografischer Arbeit - keine Megapixel, keine Apps - und vor allem nach der Einschränkung durch eine geringe Menge an Filmmaterial. Manchmal verlangt auch ein Sujet nach einer besonderen Sprache.

Ein aktuelles Fotoprojekt für das Oderbruch-Museum Altranft brachte es mit sich, dass ich nach anfänglichen Versuchen mit meiner üblichen digitalen Technik, unbefriedigt mich der alten Zeiten erinnerte. Mein Thema war die Suche nach längst untergegangenen Dorfläden und -kneipen im Oderbruch, einer Region im Bundesland Brandenburg. Leider ließ geändertes Kaufverhalten, die Verlockungen der großen Supermarkt-Ketten mit ihren riesigen Vollsortimenten, diesen im Vergleich winzigen Läden keine Chance. Dort, wo ehemalige Einzelhändler ihre Ladengeschäfte nicht zu Wohnzwecken umnutzten, bleibt Verlust und Verfall. Je nachdem wie lange die Gebäude schon leer stehen, dringt die Natur vor und holt sich das zurück, was ihr einst genommen wurde. Das Schicksal der Dorfkonsums nach dem Untergang der DDR teilen auch die meisten Dorfkneipen im Oderbruch. Einst waren sie Orte, an denen Bündnisse geschmiedet, Gerüchte geboren oder große Feste gefeiert wurden. Sie waren die Orte, an denen nach der schweren Landarbeit der Staub die Kehlen hinunter gespült wurde. In den Bahnhofskneipen der Dörfer wartete man beim Bier auf die Verwandtschaft aus der Stadt oder auf die eigene Abfahrt des Zuges. Auch in diesem Bereich zeichnen Verlust und Verfall das Bild.

Wie nähert man sich nun diesem wenig optimistischen Bild aus morbiden Fassaden, Dächern, die einzustürzen drohen, und Grundstücken, auf denen die Natur längst die Oberhand gewonnen hat? Während der Arbeit wurde mir klar, dass ich diesen Prozess des Verfalls auf die Bildsprache übertragen muss, um mich vom puren Gegenständlichen zu lösen. Auch das digitale Fotografieren schien mir in diesem Fall zu technisch für das Sujet. Also beschloss ich, mich mittels einer analogen Kamera im 6x9cm-Format - Fuji GW 690 III - dem Thema zu nähern. Langsames, bedachtes Arbeiten und nur acht Aufnahmen pro Film zwingen den Fotografen in eine andere Zeit. Zudem besitzt diese Kamera keine Batterie und keinerlei elektronische Bauteile. Alles muss mechanisch dem Handwerk und der Physik der Fotografie folgen. Zeit spielt auf einmal wieder eine Rolle – Belichtungszeit. Diese Arbeitsweise veränderte das Denken über meine fotografischen Motive: Alles ist der Zeit unterworfen. Alles entsteht und vergeht – ist im Moment des Entstehens schon dem Untergang und dem Wiederentstehen versprochen.

Das beste Material, welches mir in die Hände fiel, um diesen Prozess sichtbar werden zu lassen, ist der Washi-Film. In einer kleinen Firma im französischen Saint-Nazaire wird japanisches Washi-Papier mit einer Filmemulsion beschichtet. Das Papier, eine Art halbdurchsichtiges Pergament, bekommt seine deutliche Struktur von den Pflanzenfasern aus denen es hergestellt wird. Sie wird nach dem Entwickeln und beim anschließenden Scannen oder Belichten deutlich sichtbar. Die Faserstruktur des organischen Materials passt wunderbar zu den vielen Strukturen des Verfalls, die an den fotografierten Objekten zu beobachten sind. Es schien mir, als wüchsen die Pflanzen durch mein Motiv, so wie an vielen von mir aufgesuchten Orten.

Beim Entwickeln der sehr empfindlichen Papierstreifen wurden unbeabsichtigte Fehler und Beschädigungen der Fotoschicht sichtbar. Was zuerst wie ein Makel aussah, setzte ich zunehmend zur bewussten Steigerung der Bildwirkung ein. In einem folgenden Schritt bearbeitete ich die nassen Filme mechanisch, um sie einem ähnlichen Prozess zu unterwerfen, wie er bei dem Verfall der von mir fotografierten Häuser vorgeht. Ein Prozess, der sich nicht wie bei der digitalen Bearbeitung von Bildern rückgängig machen lässt, führte in einigen Fällen zur totalen Zerstörung der Negative. Damit beschleunigte ich virtuell den Prozess, der den fotografierten Häusern bevorsteht. Die zerstörten Papiernegative werden nach dem Digitalisieren auf einem Komposthaufen der Natur übergeben und der organische Kreislauf schließt sich.

Neben diesem philosophisch-stofflichen Prozess findet sich in den Bildern eine Ebene, in der ich die oben genannten Gründe für das Verschwinden der Dorfkonsums beschreibe. Stellvertretend für die Marktmacht der Supermarktkonzerne steht hier der Discounter Aldi.

Die Arbeiten sind Teil der Ausstellung „Kultur-Bau-Landschaft“ der Grenzland-Fotografen. Im Mai und Juni 2019 ist die Gruppenausstellung im Kunstspeicher Friedersdorf zu sehen.

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