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AutorenbildMichael Anker

wasseroderland

Erinnerungen an eine vergessene Landschaft




Weit im Nordosten, dort wo Deutschland und Polen durch die Oder getrennt werden, liegt eine Landschaft die ihren Namen einem der großen europäischen Ströme verdankt: Das Oderbruch. Dünn besiedelt, weit ab vom Schuss, ein weißer Fleck in der überregionalen Wahrnehmung, was dem dortigen Menschenschlag scheinbar sehr willkommen ist. Aufgeregte mediale Aufmerksamkeit ist dem Bruch nur gewiss, wenn besagter Fluss über die Ufer tritt und die flache Landschaft flutet. Ansonsten ist es still dort - immer noch, wie zu meinen Kindertagen. Menschen sind wenige zu sehen, umso mehr die Spuren, die sie in der Landschaft hinterlassen.


Sieht aus wie Natur, doch der Schein trügt: Aus der wilden Fluss- und Bruchlandschaft des Oderbruchs hat der Mensch in etwa 270 Jahren einen Kulturraum geformt. In dem stetigen Kampf zwischen ihm und Natur gewinnt der die Oberhand, der den längeren Atem hat. Auch wenn heute vielerorts monotone Äcker das Bild bestimmen, ist es keineswegs ausgemacht, wer am Schluss triumphieren wird. Dort wo der Mensch sich zurückzieht, überwuchert die grüne Macht alles aufs Neue. In meinem - auf einen längeren Zeitraum angelegten Projekt „wasseroderland“ suche ich nach Zeichen dieses steten Wandels - zwischen Natur- und Wirtschaftsraum.

Auf einer zweiten Spur werde ich Erinnerungen und den Bildern meiner Kindheit nachgehen. Erinnerungen an eine Zeit, in der eine längst vergessene Kleinbahn die Oderbruch-Dörfer miteinander vernetzte, viele Straßen noch nicht geglättet und asphaltiert waren. Herrliche alte Eichenalleen wurden beiderseits von Getreide-, Rüben- und Kohlfeldern begleitet. Unter den Alleebäumen lagen von der morgendlichen Kühle erstarrte Maikäfer. Hier und da kreuzten Feldhasen den Weg und aufgeschreckte Fasane flogen unter empörtem Trompeten auf. Man konnte stundenlang durchs Bruch radeln, ohne dass einem ein einziges Auto begegnet wäre. Einige Sommer meiner Kindheit habe ich dort bei meinen Großeltern verbracht. Oftmals saß ich mit einem Onkel auf der Wiese hinter dem Deich und wir vertrieben uns die Zeit indem wir mit dem Hund spielten. Neben uns graste angepflockt seine einzige Kuh. Stundenlang saßen wir an der Oder angelten oder schauten dem Wasser hinterher. Zeit hatte damals wenig Bedeutung.


Weit vor dieser Zeit, vor seiner Trockenlegung durch den Preußenkönig Friedrich II. initiiert, war das Oderbruch ein Paradies für die gesamte Tierwelt die im, am und über dem Wasser lebte. Für die damals im Bruch lebenden Menschen stellte der enorme Reichtum an Fischen, Krebsen und Wassergeflügel die wichtigste Lebensgrundlage dar. Man kann davon ausgehen, dass sie in einer Art Symbiose mit diesem von ihnen weitgehend unberührten Lebensraum lebten. Das änderte sich mit der Eindeichung der Stromoder und der Entwässerung der ehemaligen Bruchlandschaft. Die folgende Umwandlung in eine Agrarlandschaft stellte einen massiven Eingriff in die biologische Diversität und damit in die Lebensgrundlage der damaligen Bruchbewohner dar – aus Fischern wurden zwangsläufig Bauern. Später wurde diese Region der Gemüsegarten für das wachsende Berlin. Was vor etwa 270 Jahren trockengelegt wurde, um als fruchtbares Ackerland der Nahrungsmittelproduktion zu dienen, muss in der jüngsten Evolutionsstufe für den Anbau von Energiepflanzen oder der Errichtung von riesigen Solarparks herhalten. Ich will das gar nicht werten, aber es scheint ein Paradox zu sein, wenn Solarparks dort errichtet werden um das Klima zu retten, wo eine intakte Natur das Klima stabilisieren würde.

Kartenauschnitte: links die Schmettau-Karte 1767 bis 1787, rechts der Zustand 2022. Der Trebbiner See und die Feuchtgebiete sind verschwunden, dort befinden sich derzeit eine riesige Solaranlage und ein Windpark. © GeoBasis-DE/LGB (2022) und Digitales Schmettausches Kartenwerk Brandenburg: © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.


Das Projekt „wasseroderland“ hat nichts Nostalgisches an sich, es soll mir einzig meine Wurzeln bewusst machen. Diesem Zeitsprung angemessen, verwende ich analoge Fototechnik wie sie in meiner Kindheit üblich war.


Technische Daten: Hasselblad 501CM; Planar 80mm F2,8; Distagon 50mm F4; Film: Ilford Delta 100.

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